9 Monate

Genau neun Monate ist es heute her, als ich das erste Mal Angst vor dieser Stadt hatte. Es war ein Montag, das Stadtfest war vorbei und internationale Medien berichteten von einer Progromstimmung in Chemnitz. Das hat Viele, auch mich mitgenommen. In den folgenden Tagen und Wochen haben Menschen in Chemnitz und auch von weit weg gezeigt, dass nicht alle hier so denken. Vollkommen ungeplant kam es zu Ereignissen, die mich und andere dazu ermunterten für diese Stadt zu kämpfen. Wir sagten uns: "Ja, da standen nicht nur Nazis. Ja, die holen wir jetzt ab. Ja, sie werden verstehen, dass Nazis keine Lösungen zu bieten haben." Ganz nebenbei arbeitete ich weiter an eigenen Projekten, kritisierte die Videoüberwachung, fühlte mich als Teil dieser Stadt geehrt, als das Zentrum für politische Schönheit unsere Stadt aufs Korn nahm. Mitstreiter*innen aus den verschiedensten Lagern sammelten sich, warfen Ideen und Pläne für die Zukunft in einen Hut und das Projekt "Chemnitz für Alle" war geboren. Wir warben dafür den guten Dingen in Chemnitz eine Stimme zu geben. Wir haben nun wieder und weiter eine im Stadtrat sitzen. Auch bei anderen demokratischen Parteien hat sich viel bewegt und manchmal habe ich mich gefragt, ob das jetzt eine Reaktion auf uns ist. Mit der deutlich jüngsten Liste in Chemnitz, nicht nur einzelnen Kandidierenden, traten wir an. Die jungen Menschen waren direkt wählbar und standen nicht nur zum Stimmenfang für die Älteren auf Plakaten. Das fühlte sich gut an. Insbesondere die schon vorab aufkommende Verantwortung lies es gut erscheinen.

Wochenlang hieß es so für mich: Plakate aufhängen, den eigenen Wahlkreis beflyern, die schmerzenden Füße kurz auf dem einen oder anderen Podium sitzend ausruhen und nebenbei tun, was ich immer getan hab - mit Abstrichen, ich wollte die Stadt verändern und der Tag hat nur 24 Stunden. Derweil hab ich viele tolle Menschen kennengelernt, besser kennengelernt und in einer kleinen Blase gelebt, die mir Glauben gemacht hat, wir könnten dieser Stadt etwas zurückgeben. Das Gefühl und die Hoffnung hat sich breit gemacht, dass Chemnitz zurück schaut, sieht was passiert ist und für eine Zukunft ohne diffuse Angst und mit einem neuen Weg gemeinsam eine Stadt gestalten will, in der der Herbst 2018 nur ein Vogelschiss in der Geschichte war. Nun hat sich die Stadt anders entschieden.

Unabhängig von der eigenen Enttäuschung kann man nun rechnen wie man will. Die Parteien und Gruppierungen, die für ein weltoffenes Chemnitz stehen und bereit sind dafür mit allen verfügbaren Kräften einzustehen sind in der Minderheit. Parteien und Gruppierungen, die Projekten den Geldhahn zudrehen wollen, Angst verbreiten, den Klimawandel leugnen, nur an unternehmerische Interessen denken, sich grün anmalen wollen und so weiter und so fort sind in der Mehrheit und werden, so will es die Mehrheit von Chemnitz, ein schönes einheitliches grau über Chemnitz legen. Die Videoüberwachung fällt damit in die Hände von genau den Menschen, die im Herbst noch Menschen durch die Stadt jagdten. Kritik wird sicher immer lauter zur "Schmähkritik" hochstilisiert und das Beflaggungsverbot für das Rathaus wird gekippt werden. Dann hängen dort Fahnen von uni(n)formierten Gruppen, die euch weiter die Wahl lassen zwischen Mund halten oder mitmarschieren.

Jeder Vierte in Chemnitz hat rechts oder rechtsradikal gewählt. Ein weiteres Viertel Parteien, die schon zusammen mit dem ersten Viertel Plakate abgehängt haben. Wenn Konservative "die Mitte" sein wollen, dann tollerieren sie die rechten und rechtsradikalen Parteien und Gruppierungen. Das macht sie zu Mittätern. Und jetzt soll ich weiter kulturelle Angebote mitgestalten und auf die Beine stellen? Jeder Zweite in Chemnitz hat mit den abgegeben Stimmen entschieden, dass er oder sie es ablehnt, wie ich lebe und wer ich bin. Mehr oder weniger direkt geht damit einher, dass mir Grundrechte abgesprochen werden. Das geht nnicht nur mir so, sondern nur auch anderen. Nur einen Tag nach der Wahl liest man rassistischen und ekeligen Beleidigungen. man liest davon auf Twitter. Geschehen sind sie jedoch im echten Leben. Da draußen: Chemnitz.

Für die Kraft in den letzten Monaten und Wochen möchte ich mich bedanken bei und viel Erfolg wünschen ich weiterhin:

Den Menschen hinter Chemnitz für Alle
Aufstehen gegen Rassismus
Chemnitz Nazifrei
den großen und kleinen Akteuren der Chemnitzer Subkultur
Tausenden Wähler*innen, die an unsere Ideen glauben
allen Vereinen und losen Zusammenschlüssen, die sich, auch intern, klar gegen Rassismus stellen

Viel Erfolg wünsche ich weiterhin:

Der Linksjugend ('solid)
Den Jusos
Den Grünen

Das ist nicht mehr meine Stadt. Ich wünsche all denen, die versuchen die Stadt weiter zu retten viel Kraft und biete bis auf weiteres weiter meine Unterstützung an. Die erste gute Gelegenheit diesen Sumpf hinter mir zu lassen werde ich dennoch nutzen. Verzeiht mir.

Danielle Tändler