Wochenendausflug nach Chemnitz.

Danielle Tändler | Kandidatin Wahlkreis 2 (Ebersdorf, Hilbersdorf, Euba, Sonnenberg) • Stadtratswahl Chemnitz 2019


Wie man Chemnitz erlebt, wenn Besuch kommt.

Dieses Wochenende war es dann also soweit. Ein halbes Jahr Planung für ein Treffen mit Menschen aus Nah und Fern endeten in einem Mischmasch der Gefühle. Aber fangen wir mal von vorn an.

Freitag, 15 Uhr, Wetter eher kalt, Chemnitz eher grau:

Ich habe mir extra das Wochenende frei genommen von allen Verpflichtungen, um für die Organisation voll dabei zu sein. Die letzte Veranstaltung mit internationalen Gästen war noch vor den Ereignissen im letzten Herbst. Da hat noch niemand so genau hingeschaut, wie es in Chemnitz läuft. Nun gilt es zu bestehen. Nach den letzten Zu- und Absagen sitze ich also seit ca. 15,00 Uhr im Hotel. Erstmal einen Kaffee bestellt.
Die Anreise funktioniert erstaunlich gut. Berichte von Steckdosen in Zügen erreichen mich mit den Menschen, die einchecken, freundlich im Hotel aufgenommen werden. Abends hat es nur eine Person noch nicht geschafft.
Wir machen uns also auf den Weg in unsere Tagungsräumlichkeiten. Der Weg dahin führt quer durch die Innenstadt. Menschen sind kaum zu sehen. Vielleicht ist das besser so. Draußen fällt eine Fahne mit einem chaotisch wirkenden Symbol am Gebäude herab. Wir sind also da. Angekommen erwarten uns vertraute Räumlichkeiten. Freies WLAN, Kaffeeküche, ein Raum mit Tischen und Stühlen. Wir planen den Abend über, was an diesem Wochenende alles zu machen ist. Punkte werden gesammelt, Diskussionen und Pizza vom Feinsten lassen es immer später werden, bis auch die letzte Bahn gefahren ist.
Zum Nachtbus? Naja. Da kann man gleich laufen. Morgen soll es früh los gehen. Taxi! Gute Idee, dachten wir. Spontan fällt mir eine Nummer ein, die ich schon häufiger auf Taxis gelesen hab. Das kann also nicht so schwer werden. Ein Mensch ruft an. "Wo sollen wir hin kommen?" schallt es aus dem Telefon. Adresse genannt, wird sofort assoziiert: "Ist das das ehemalige ...?" Nein, ist es nicht. "Name?" Okay. etwas verdutzt über die Frage wird der Name genannt. "Und wo nochmal?" Hm. Irgendwie wird es komisch. Nur weil der Tagungsort nicht bekannt ist, sollte die Adresse doch eine klare Ansage sein. Nun gut. Sie schickt uns ein Taxi. Das dachten wir eine viertel Stunde später auch noch. Vielleicht hilft es ja, wenn wir nochmal nachfragen. Die Fragestunde geht von vorn los. Als hätte man es nicht beim ersten Mal aufgenommen. Abgeschlossen werden soll das Gespräch mit: "Gut, dann schick ich Ihnen den nächsten freien Fahrer." Moment, sollte der nicht schon unterwegs sein? Wann kommt der denn? "Sobald wie möglich." Wir warten ja schon eine viertel Stunde, ob sie uns wohl sagen kann wie lange es noch dauert, bevor wir weiter bei etwa 0 Grad frieren? "Ich glaube Sie wollen heute kein Taxi von uns. Warum rufen Sie nicht wo anders an? TUT...TUT".
Per App ist schnell ein anderes Taxi bestellt. Vier Minuten später ist das dann da und eine Erklärung folgt. "Normalerweise fahren wir hier nicht hin. Wir haben da so eine App, da steht der Name und weitere Information. Wenn da zum Beispiel 'ausländischer Mitbürger' steht, fahren wir gar nicht erst los." Die Fahrt endet erfolgreich am Hotel. Ich hab mich derweil auf den Heimweg gemacht.

Fragen des Tages:

Werden die Menschen darüber informiert, dass gegebenenfalls sensible Daten über sie gespeichert werden?
In welchem Moment willigen sie freiwillig ein diese Zusatzinformationen wie lang zu speichern?
Kann man das unterbinden?
Verdienen Taxiunternehmen in Chemnitz zu viel?

Samstag, 8:30, Wetter immer noch kalt, Chemnitz immer noch grau:

Der Bus fährt viel zu selten. Ich lauf lieber zum Hotel. Ein kleines Update zur Anzahl der Menschen, die nun tatsächlich angekommen sind wäre für alle Seiten gut. Am Frühstückstisch wird sich munter lustig gemacht über diese eine Taxifahrt. Danach soll es zurück gehen um weiter wirklich wichtige Fragen zu beantworten.
Das Experiment "Taxi" wird wiederholt. Zum Hotel kommt das binnen weniger Minuten. Am Tagungsort angekommen wird mir berichtet, was vom heutigen Fahrer kam: "Was, da wollen sie hin? Da wohnen doch nur Ausländer und Hartz4-Empfänger". Dann wird munter die ganze Fahrt über aus der rechten Propagandakiste ausgepackt, was das Zeug hält. Das alles hier zu wiederholen, trau ich mich nicht. Menschen würden sich über den Würgereiz aufregen. Die entsprechenden Diskussionen verzögern unsere Produktivphase um gut eine Stunde. Ich fühl mich elend. Das Fremdschämen kann ich nur mit Mühe und viel Ironie überspielen.
Zurück an der Arbeit kann ich ein wenig abschalten, die Probleme für einen Moment vergessen, überlegen wo wir mittags etwas essen. Das Problem löst sich bald. Wir teilen uns auf, laufen verteilt vorbei an Plakaten von rechtsextremen Gruppierungen und Jede*r bekommt was. Dabei entdecken wir ein neues arabisches Restaurant. Das Fleisch wird frisch gehackt und gebraten. Pommes können sie hier nicht so gut. Dafür ist der Rest und die Gastfreundschaft einzigartig. Man kommt kaum dazu sich noch etwas vom gratis Chai zu holen, ohne dass einem das leere Glas abgenommen wird. Wir werden angeschaut wie die ersten Autos, schnell ist aber klar, das wir nicht wie "die anderen Deutschen" sind. Satt und beruhigt treten wir den Rückweg an, während wir über Parallelgesellschaften reden und überlegen, ob es eine gute Idee wäre mal mit dem einen oder anderen Taxifahrer da speisen zu gehen.
Die Arbeiten über den Nachmittag rauschen an mir vorbei mit der Überlegung, ob es denn notwendig wäre erneut ein Taxi zu nutzen. Der Abend gestaltet sich aber ohne ein entsprechendes Erlebnis. Geschützt durch Kameras entdecken wir die Chemnitzer Innenstadt. Bei Steaks, Salat und Thaisüppchen lassen wir es uns mal gut gehen. Vor dem Rewe sammeln sich derweil Menschen, denen es an passendem Angebot für den Abend zu fehlen scheint. Immerhin gibts dort keine Kameras. Mit einem Besuch des Pubs der Wahl klingt der Abend aus. Hier treffen sich gute Menschen. Die Gespräche werden seichter. Ich schaue in entsetzte Gesichter, als ich erzähle, für welches Geld Firmen glauben in Chemnitz qualifizierte Menschen arbeiten zu lassen. Die Ausrede der günstigen Mieten zieht nicht. 200 km entfernt könnte ich das dreifache verdienen und wäre noch ein Schnäppchen für die Firma. Ich lebe damit, denke mir, dass mir das Chemnitz, meine Freunde und die Menschen hier wert sind und komme doch ins Zweifeln, als die Visitenkarte über den Tisch wandert.
Der Heimweg verläuft unspektakulär. In manchen Straßen trägt jetzt jede einzelne Laterne die Last des Rechtsextremismus.

Fragen des Tages:

Sind alle Taxifahrer so drauf?
Müsste ich öfter selbst einfach mal in neue Läden gehen um zu entdecken, was tolles drin ist?
Wer bezahlt diese Masse an Plakaten?

Sonntag, 9:30, Schneeregen, Chemnitz dunkelgrau:

Der Bus fährt noch seltener. Ich lauf lieber direkt zum Tagungsort. Es fehlen Plakate. Es zaubert mir ein Lächeln aufs Gesicht. Die Stadt sieht so einfach freundlicher aus. Angekommen frage ich natürlich erst mal, ob die anderen ein Taxi genommen haben. Sie haben. Das Taxifahrer hat die ganze Fahrt über den Mund gehalten. Ich frag mich, ob das gut ist. Unser Themenkatalog ist bald erschöpft, sodass wir uns mittags gemeinschaftlich zum Restaurant von gestern aufmachen. Wir bestellen uns bunt durch die Karte, schlemmen, machen mit den Besitzern Fotos, lachen, mampfen und es fühlt sich an, als wäre man in einer anderen Welt. Wir sitzen viel zu lang, der erste Zug fährt bald. Eilig bring ich die ersten Gäste zum Bahnhof (sicherheitshalber zu Fuß). Ich erzähl was zum Chemnitzer Modell, zeig auf eine Bahn der C13, die nach der Einfahrt den Stromabnehmer hoch nimmt. Beeindruckt von diesen letzten Momenten wird sich bei mir bedankt. Die MRB fährt pünktlich. Über den Nachmittag verlassen uns immer mehr Menschen. Die letzte Person fährt dann spät in der Nacht mit dem Bus. Aus der Ferne kommen noch Danksagungen und Hilfsangebote. Ich bedanke mich und lehne ab. Das müssen wir ganz allein schaffen. Chemnitz kann das. Wirklich tragisch ist nur eines und das werde ich mir nicht verzeihen:
Es sind Kinder mitgekommen.
Eines der Kinder hat ein neues Wort gelernt.

Es fragte mit dem Finger zeigend die Frage des Tages:

"Nazi?"


Danke fürs lesen. Der Text sollte einen Eindruck vermitteln, warum ich als Stadtrat für meine Stadt Chemnitz kandidiere und mehr vermitteln als kurze Sprüche (davon gibt es bestimmt noch genug).

Danielle Taendler
Kandidatin für die Stadtratswahl 2019 in Chemnitz
wählbar in den Stadtteilen Sonnenberg, Hilbersdorf, Ebersdorf, Euba | Wahlkreis 2